(RE)COLLECTIONS #1 THE BIGGER PICTURE
Fr 8.7.2016 21:30 FILM
Wenn man auf dem Kopf steht, ist alles abstrakt, pflegte Anne Haugsgjerds Vater zu sagen. Nun ist er tot und die Tochter, selbst Filmemacherin und Künstlerin, sieht sich mit einem Vermächtnis praktisch unverkäuflicher Kunstwerke konfrontiert. Den ersten Teil der losen Trilogie (RE)COLLECTIONS bilden vier subtile, aus Briefen, Gemälden und Erinnerungen gebaute Kammerspiele über (familiäre) Sprachlosigkeit, Kindheitstraumata und das Streben nach Unabhängigkeit. Auch die Familienwahrheit bleibt letztlich etwas Abstraktes. Spuren finden sich vielleicht gerade in den hybriden Formen des Dokumentarischen – auch wenn sich die Filmemacherinnen damit auf dünnes Eis begeben.
Filmtalk
Gespräch mit Amina Handke (MUTTER VON MUTTER) und Gabriele Mathes (GEFÜHL DOBERMANN) im Anschluss an das Filmscreening. Moderation: Lea Susemichel.
THE BIGGER PICTURE
Daisy Jacobs / Großbritannien 2014 / 7:30 min / eOF»You want to put her in a home, you tell her!« Anhand lebensgroßer Figuren erzählt Daisy Jacobs mit subtilem Witz und Wärme die Geschichte zweier Brüder, die sich um ihre alternde Mutter kümmern. In gemalten, ebenfalls lebensgroßen Sets nimmt die Auseinandersetzung mit einer Situation, mit der jede*r zwangsläufig eines Tages konfrontiert sein wird, Gestalt an.
THE BIGGER PICTURE war 2015 für den Oscar in der Kategorie Bester animierter Kurzfilm nominiert, gewann den BAFTA-Award in der Kategorie Bester animierter Kurzfilm bei den 68. British Academy Film Awards und wurde mit dem Cartoon d’Or ausgezeichnet. Auf der Website zum Film ist ein spannendes Making of zu sehen.
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UPSIDE DOWN EVERYTHING IS ABSTRACT, MY FATHER SAID
OPP NED ER ALT ABSTRAKT, SA PAPPA
Anne Haugsgjerd / Norwegen 2014 / 32 min / OmeUBis zu seinem Tod war der Vater der norwegischen Künstlerin und Filmemacherin Anne Haugsgjerd ein enorm produktiver Maler: Mal zeichnete er kubistische Frauenkörper, mal brachte er expressionistische Farblandschaften auf die Leinwand. Doch seine Werke hat er nie signiert oder öffentlich ausgestellt. Mit Witz und gesammelter Lebenserfahrung nähert sich die Regisseurin einem radikalen Kunstverständnis und ihren eigenen Familienerinnerungen.
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MUTTER VON MUTTER
Amina Handke / Österreich 2015 / 20 min / OmeU»Familiäre Wärme, wie sehnte ich mich eigentlich danach.« Großmutter, Mutter, Tochter – verkörpert von einer Person, der Mutter der Filmemacherin, die in einem beschwerlichen und schmerzlichen Prozess Familienarchäologie betreibt. Lückenhafte Erinnerungen und selbstreflexive Gedanken, ein Brief der verstorbenen Großmutter, vorgelesen aus dem Off: All dies ergibt ein schemenhaftes Bild dreier Generationen von Frauen, die sich nicht wirklich kennen, deren Verhältnis von Berührungsängsten, Trennung und Abwesenheit bestimmt ist. Ein Gefühl, dem auch bildlich Ausdruck verliehen wird: Sachlich und doch intim kadrierte Rückenfiguren, gegenständliche Details, Hände und Gewebe, die metaphorisch zerschnitten und zusammengenäht werden, wie es die Filmemacherin mit den Fäden ihrer Vergangenheit unternimmt. (Diagonale)
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GEFÜHL DOBERMANN
Gabriele Mathes / Österreich 2015 / 16 min / dOFEine Drehpause: Protagonist*innen führen Smalltalk, es spielen Kinder, ein Mops schnauft. Die Regisseurin brieft die Mutter zur anstehenden Szene, doch diese verweigert Fessel und Knebel. Sie verstehe den Zorn der Tochter nicht, klagt sie. Ob den der Filmfigur oder den der Verwandtschaft, bleibt unklar. Wie sich auch der weitere Handlungsverlauf der eindeutigen Unterscheidung von Spiel und Leben widersetzt. Vieles sei niemals richtig ausgesprochen worden, heißt es. Tatsächlich scheinen sich verdrängte Emotionen mit jedem Blick und jeder Geste in den Filmdreh zu übersetzen; in eine Wohnungsenge, die in der Unbarmherzigkeit von Handkamera und Naturlicht zunehmend Beklemmung suggeriert. Ein subtil gebautes Kammerspiel über (familiäre) Sprachlosigkeit, Kindheitstraumata und Sadismus. (Sebastian Höglinger, Diagonale)
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