FIONA RUKSCHCIO: THINGS CHANGE/THINGS DON’T CHANGE
Fr 7.8.2015
21:30
FILM
In ihren Filmen, Collagen und Projekten thematisiert die österreichische Künstlerin und Filmemacherin Fiona Rukschcio weibliche Rollenzuweisungen, Identitätsentwürfe und emotionale Grenzerfahrungen. Auf der Suche nach kreativen Empowerment-Strategien spannt die Personale einen Bogen von dem preisgekrönten Dokumentarfilm #1: (COMMON PLACES) aus dem Jahr 1999 – einer beunruhigend aktuellen Oral History großer und kleiner, in jedem Fall aber untolerierbarer sexueller Übergriffe im Alltag – bis zu ihrer jüngsten Videoarbeit EIN PROZESS. DAS PROTOKOLL.
Filmtalk
Gespräch mit Fiona Rukschcio im Anschluss an das Filmscreening. Moderation: Gabriele Kepplinger.
Barrierefrei für gehörlose und schwerhörige Menschen
• Filme in Originalfassungen mit Untertiteln (HoH)
• Moderation und Filmtalk mit Übersetzung in Gebärdensprache (ÖGS)
• Induktive Höranlage für Träger*innen von Hörgeräten/-implantaten
SCHMINKI 1, 2+3
Fiona Rukschcio / Österreich 1999 / 7:30 min / OmdU (HoH)Bilder von Schminkritualen sind nicht erst seit PARIS IS BURNING sehr eng mit der Frage nach herrschenden Geschlechternormen verbunden. Das Auftragen des Lippenstifts scheint direkt mit dem Übereinanderschlagen der Beine bzw. einer Vielfalt von als vermeintlich »weiblich« identifizierbaren Posen einherzugehen. Solchen Bildern ist der performative Charakter eingeschrieben, weil die Konstruktion des Geschlechts ausgestellt wird. In SCHMINKI 1, 2+3 schminkt sich eine Frau. Eine als Frau verkleidete Frau stellt Bilder ihrer eigenen Herstellung aus. Fiona Rukschcio imitiert herrschende Normen, indem sie die Imitationsstrukturen von Geschlechternormen aufdeckt. (Christa Benzer)
Credits
#1: (COMMON PLACES)
Fiona Rukschcio / Österreich 1999 / 45:30 min / OmeU (HoH)Fiona Rukschcio vereint in ihrem Video #1: (COMMON PLACES) die Erzählungen von 27 Frauen über den ganz »normalen« Belästigungsalltag, dem jede Frau in jeder Situation ausgesetzt sein kann. Sie lässt Frauen die verschiedenen Belästigungssituationen an den entsprechenden Orten beschreiben, das Unbehagen der Betrachter*innen wächst. Und es gibt am Ende nicht mehr die Möglichkeit, zu sagen, »das geht mich nichts an, mir könnte so was nie passieren«. Im Gegenteil, #1: (COMMON PLACES) erzeugt eine Reflexion der eigenen Geschichte auf der Suche nach genau diesen, teilweise fast unsichtbaren, alltäglichen Belästigungen im weitesten Sinn.
Das Bild vom »bösen Unbekannten«, der an dunklen Straßenecken auf seine Opfer lauert, wird sukzessive demontiert. Wohl wird dieser Typus als eine Variante nicht verleugnet, doch schlussendlich sind es auch die Freund*innen, Bekannten, Arbeitskolleg*innen, Kund*innen, Studienkolleg*innen, Verwandten, die die physischen und psychischen Grenzen der Frauen missachten, die sie begrapschen, bedrohen, beglotzen, bequatschen und Abhängigkeitsverhältnisse zum eigenen Vorteil ausnützen wollen. (Harriet Leischko)
Zusammen mit #2: (SCHOLARIC STRATO/SPHERE) und #3: (SELF-DEFENCE EAR-FLAPS) bildet #1: (COMMON PLACES) eine Video-Trilogie, die weibliche Selbstverteidigung im weitesten Sinn thematisiert. #1: (COMMON PLACES) wurde auf der Diagonale 2000 mit dem Preis für Innovatives Kino ausgezeichnet.
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THINGS CHANGE/THINGS DON’T CHANGE
Fiona Rukschcio / Österreich/Frankreich 2009 / 5:15 min / OmdU (HoH)»Richard – Ulrich – Kurt – Schule – Caesar – Ida – Otto – Rukschcio. Fast jeden Tag muss ich meinen Namen buchstabieren, in den unterschiedlichsten Situationen. Ich bin so daran gewöhnt, dass ich mir nie die Frage gestellt habe, welche Namen ich dafür eigentlich benütze – bis ich dieses Video gemacht habe.«
In der Geschichte des Buchstabierens, die mit der Einführung des Telefons beginnt, zeigt sich, dass diese nicht als neutrale Übermittlung funktioniert. Der Wandel politischer Systeme wirkt sich direkt auf den Modus aus. Mit Beginn des Nationalsozialismus wurde dieses elementare Instrumentarium zur Überwindung von Verständigungsschwierigkeiten durch den Austausch jüdischer Namen gegen deutsche mit nationalen und ethnischen Ideologien besetzt und bis heute so belassen. Das Buchstabieren von THINGS CHANGE kann in diesem Sinn als Hinterfragung und Aufforderung gesehen werden, die mit der Ambivalenz von THINGS DON’T CHANGE alterniert. (Nicola Hirner)
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EIN PROZESS. DAS PROTOKOLL.
Fiona Rukschcio / Österreich 2014 / 10:30 min / OmeU (HoH)In EIN PROZESS. DAS PROTOKOLL. wird der Ablauf eines als vermeintlich locker geplanten Abends unter Bekannten nacherzählt, der mit einer Vergewaltigung endete. Abwechselnd reiht Fiona Rukschcio fragmentarische Aussagen der jungen Frau und des Angeklagten aneinander, die nüchtern von Stimmen aus dem Off verlesen werden und die Geschehnisse jener Nacht Stück für Stück rekonstruieren. Die protokollierten Schilderungen klaffen dabei immer weiter auseinander, die Formulierungen des Angeklagten wirken wie einstudiert – und nicht zuletzt über dessen Ungerührtheit transportiert sich auch die emotionale Distanziertheit, die einem juristischen Prozedere innewohnt.
In dieser dokumentarischen Arbeit, die keine intakten Bilder liefert, dominiert das gesprochene Wort: Ein körperlicher Übergriff wird für ein Gerichtsverfahren beschrieben. Die fehlende Sichtbarkeit der seelischen Gewaltausübung findet als blinder Fleck auf der visuellen Ebene ihre Entsprechung: Schwarzkader markieren Leerstellen, die sich in der Montage zwischen die verschiedenen Segmente schieben. Dem Umstand, einen Gewaltakt paragraphisch erfassen zu wollen, begegnet Fiona Rukschcio mit beklemmender Unschärfe. (Jana Koch)
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